Bild mit vier weiblichen Jugendlichen

Zwischenbilanz!

Interview mit Hanna Zängerling, Projektkoordinatorin des Modellprojekts: jmd2start - Begleitung für junge Flüchtlinge im Jugendmigrationsdienst.

Für Menschen, die nie ihre Heimat und ihre Lieben verlassen mussten, ist es wohl unvorstellbar, was „Flucht“ wirklich bedeutet. Gefahren, seelische Not, Einsamkeit und eine ungewisse Zukunft sind nur einige Stichwörter zu Situationen, mit denen ein geflüchteter Mensch klar kommen muss. Es ist daher gut und wichtig, dass es Anlaufstellen gibt, die im neuen Umfeld Beratung und Hilfe bieten.

Für Menschen, die nie ihre Heimat und ihre Lieben verlassen mussten, ist es wohl unvorstellbar, was „Flucht“ wirklich bedeutet. Gefahren, seelische Not, Einsamkeit und eine ungewisse Zukunft sind nur einige Stichwörter zu Situationen, mit denen ein geflüchteter Mensch klar kommen muss. Es ist daher gut und wichtig, dass es Anlaufstellen gibt, die im neuen Umfeld Beratung und Hilfe bieten. Das Modellprojekt „jmd2start – Begleitung für junge Flüchtlinge im Jugendmigrationsdienst“ ermöglicht diese persönliche, lebensnahe und kompetente Unterstützung und stärkt damit den Zugang der jungen Menschen zu Bildung, Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe. An bundesweit 24 Modellstandorten beraten und begleiten die Jugendmigrationsdienste (JMD) Flüchtlinge zwischen 12 und 27 Jahren. Bei Projektkoordinatorin Hanna Zängerling laufen die Fäden der Arbeit zusammen. Wir haben sie in ihrem Bonner Büro getroffen. 


Frau Zängerling, wie viele Flüchtlinge betreut das Projekt jmd
2start im Moment? Und wieviel Personal steht dafür zur Verfügung?

Seit dem Start vor einem Jahr haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr als 3.600 junge Menschen beraten und begleitet. Im Durchschnitt kommen pro Quartal 700 hinzu. An den 24 Standorten im Modellprojekt sind rund 50 Mitarbeitende tätig.
Ziel ist es, die Geflüchteten möglichst früh auf unsere Angebote aufmerksam zu machen. Dabei wollen wir auch neue Zugangswege erproben, z. B. durch die Kooperation mit Gemeinschaftsunterkünften. Je später die Beraterinnen und Berater die jungen Leute kennenlernen, desto eher haben sich schon bestimmte, auch falsche Infos gefestigt oder es sind Fristen versäumt worden.

Wie alt sind die Ratsuchenden, und aus welchen Ländern stammen sie hauptsächlich?

Die meisten jungen Menschen, die in die jmd2start-Beratung kommen, sind zwischen 19 und 27 Jahre alt. Sie stammen überwiegend aus den Ländern Syrien, Afghanistan und Irak.

Wie ist das Projekt in die Jugendmigrationsdienste eingebunden?

Im Auftrag des Bundesjugendministeriums und in enger Zusammenarbeit mit den Trägern der Jugendmigrationsdienste erprobt das Modellprojekt Ansätze und Methoden zur Frage: Wie können die Jugendmigrationsdienste junge Flüchtlinge bestmöglich begleiten?
Wichtig war von Anfang an, dass das Projekt jmd2start an bestehende JMD-Standorte angegliedert ist. Denn die Jugendmigrationsdienste vor Ort sind sehr gut vernetzt! Das Angebot passt also perfekt in die Strukturen. jmd2start setzt quasi „vor“ der klassischen Arbeit der JMD an, denn die Beratung richtet sich bislang vor allem an junge Menschen, die schon eine Aufenthaltserlaubnis haben.
Durch die erweiterte Zielgruppe - mit anderen Aufenthaltstiteln - sind für die Beraterinnen und Berater neue Rechtsvorschriften oder Praxisvorgaben zu beachten. Darf ich mit einer Aufenthaltsgestattung einen Sprachkurs besuchen? Wie erhalte ich eine Beschäftigungserlaubnis? Bekomme ich finanzielle Unterstützung während meiner Ausbildung?
In der Jugendsozialarbeit, nach deren Grundsätzen JMD und jmd2start arbeiten, zählt der „ganze Mensch“ und nicht nur sein Rechtsstatus oder seine Rolle in der Arbeitswelt. Es geht also um die Frage: Wie können wir jetzt helfen, dass sich die jungen Geflüchteten hier ein Leben aufbauen?

Da knüpfen wir gleich an: Was sind die größten Bedarfe, die ein junger Flüchtling hat, wenn er oder sie in den Jugendmigrationsdienst kommt?

Viele Anfragen sind ähnlich, die Stationen auf dem Weg zum Ziel können aber sehr verschieden sein: Viele junge Menschen sind auf der Suche nach Sprach- und Integrationskursen. Viele möchten die Schule besuchen – was oft schwierig ist, wenn sie älter als 18 Jahre sind. Und dann ist natürlich der Wunsch sehr groß, Geld zu verdienen. All das baut auf dem grundlegendstem Bedürfnis auf: Sicherheit! Die zentrale Frage ist: Kann ich hier in Deutschland bleiben? Denn so verschieden junge Flüchtlinge auch sind, was sie eint ist: Ihre Flucht war keine freiwillige Entscheidung und der Weg zurück ist kein Weg.

Man hört ja oft, dass Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander klaffen, wenn ihre Flucht junge Menschen nach Deutschland führt. Ist das tatsächlich so? Und wie gehen die Beraterinnen und Berater vor Ort damit um?

Natürlich haben unterschiedliche Menschen auch ganz unterschiedliche Erwartungen an das Leben in Deutschland. Für viele ist der Druck aus ihrer Heimat und das Bestreben sehr groß, Geld dorthin zu schicken. Der Wunsch nach einem Rückzugsraum und finanzieller Unabhängigkeit ist ganz deutlich! Und wenn man dann sieht, wie der Alltag aussieht, dann klafft zwischen Wunsch und Wirklichkeit schon ein großes Loch. Die Unterbringung ist häufig sehr bescheiden, viele jungen Menschen müssen sich lange gedulden bis der Aufenthaltstitel da ist, und dann ist der Weg in Arbeit oft lang und schwierig. Das fällt natürlich gerade jungen Menschen schwer.
Die Beraterinnen und Berater müssen dafür viel Energie und Kreativität mitbringen. Standard-Lösungen sind selten. Stattdessen heißt es, gemeinsam mit dem jungen Menschen den individuellen Weg zu finden. Sie können Angebote machen und sich vor allem Zeit nehmen.
Wichtig ist, dass die Geflüchteten die Chance haben, selbst aktiv zu werden und schöne Momente zu erleben. Gerade Angebote, die nicht so sehr auf Sprache und Lernen basieren, sind unerlässlich – auch wenn sie auf den ersten Blick trivial klingen: gemeinsame Ausflüge, Tanz- und Theaterworkshops oder Sportangebote. Und die Mitarbeitenden achten darauf, dass die jungen Flüchtlinge gesundheitlich in der Lage sind, die Angebote zu nutzen. Wenn sie den Eindruck haben, dass das nicht so ist, versuchen sie über Netzwerkpartner weiterzuhelfen.

Wie ist das Prozedere, das ein junger Flüchtling durchlaufen muss, damit er hier in Deutschland wirklich Fuß fassen kann?

Registrierung, Asylantrag stellen, dann die Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - und das Warten auf den Bescheid. Geflüchtete aus den Herkunftsländern mit hoher Anerkennungsquote können bereits im Asylverfahren einen Sprachkurs besuchen, wenn es Plätze gibt. Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern müssen oft bis zum Aufenthaltstitel warten, das kann mitunter auch ein Jahr oder länger dauern. Einige Kommunen sind aktiv geworden und bieten für diese Gruppe Deutschkurse an.
Wenn die Geflüchteten jünger und noch schulpflichtig sind, dann geht vieles leichter. Durch den Schulbesuch sind sie automatisch in ein ganz anderes soziales Umfeld eingebunden. Denn Fuß fassen heißt für mich auch: Kontakt zu deutschen Jugendlichen knüpfen – und dafür braucht es noch mehr Angebote. 

Wie klappt die Zusammenarbeit mit den anderen lokalen und überregionalen Einrichtungen?

Im letzten Jahr ist viel Bewegung in die Flüchtlingshilfe gekommen. Es gibt eine kaum noch zu überblickende Anzahl an verschiedenen Programmen und Maßnahmen, die wir erst einmal kennen müssen. 
Die Unterkünfte sind wichtige Partner geworden, die Agenturen für Arbeit und Jobcenter sowieso und auch die Flüchtlingsräte und Flüchtlingssozialberatungen. Die JMD sitzen in den lokalen Fachgremien am Tisch und sind dabei, wenn sich neue gründen. Gleichzeitig werden die JMD aber auch als Fachdienste mit Expertise wahrgenommen, wenn z. B. Kolleginnen und Kollegen vom Jugendamt oder der Schulsozialarbeit anfragen.

Was sind die wichtigsten Zwischenergebnisse nach einem Jahr?

Zwei Bereiche möchte ich hervorheben: Junge geflüchtete Menschen sind oft besonderen Anforderungen ausgesetzt – geprägt durch den unsicheren Aufenthalt, Fluchterfahrung, Trennung von Familie und Freunden, Wohnsituation, hohe eigene und familiäre Erwartungen und die Identitätsfindung als junger Mensch. Die JMD können den jungen Menschen Raum geben: für den Austausch untereinander, für persönliche Wahrnehmungen und um sich Ängsten, Zielen, Unsicherheiten bewusst zu werden.
Das gelingt besonders gut mit niedrigschwelligen Angeboten, z. B. aufsuchender Sozialarbeit, Begegnungscafés, Sportangeboten. Das ist eine alte Erkenntnis der Jugendmigrationsdienste, die nun wieder zum Einsatz kommt!
Zum anderen sehe ich den Schlüssel zum Ankommen in der Selbstbestimmung, gerade weil unter den Geflüchteten die Erwartungen und die Unsicherheiten hoch sind. Für sie ist wichtig: Ich kann für mich eintreten, wenn ich meine Rechte und Pflichten kenne und verstanden habe, wie gewisse Systeme funktionieren, z. B. das Ausbildungssystem. Dies zu vermitteln und die jungen geflüchteten Menschen zu unterstützen, dass sie ihre Rechte wahren können und ihre Bedürfnisse gehört werden, ist und bleibt Aufgabe von jmd2start und den JMD.