Bild mit vier weiblichen Jugendlichen

Deutschland zu Fuß erkunden – ein Wandertag für junge Zugewanderte

Frische Waldluft einatmen, unter Bäumen laufen, die Ruhe genießen: Für junge Zugewanderte und Geflüchtete in Deutschland ist es oft nicht einfach, raus in die Natur zu kommen. Mitarbeiterinnen der Jugendmigrationsdienste Rhein-Erft-Kreis und Euskirchen haben daher einen Wandertag ins Leben gerufen. Dabei können junge Menschen ihre Umgebung erkunden und neue Kontakte knüpfen.

Erschöpft, aber glücklich: Mit vereinten Kräften hat es die Gruppe bei Nebel und Regen auf die Löwenburg geschafft.

Es ist ein nass-kalter Samstag im Herbst. Der Himmel über Bad Honnef ist trüb und grau, Nieselregen geht in Starkregen über. Es ist nicht das schönste Wetter für eine Wanderung, doch davon lässt sich die Gruppe junger Menschen nicht abschrecken, die sich mittags an der Haltestelle Am Spitzenbach trifft. Die meisten von ihnen sind Anfang bis Mitte 20, doch auch zwei jüngere Familien mit Kindern sind dabei. Mit drei Mitarbeiterinnen der Jugendmigrationsdienste (JMD) wollen sie auf die Löwenburg wandern, eine Burgruine auf dem zweithöchsten Berg des Siebengebirges. Mit Regenjacken und Schirmen gewappnet geht es los in den Wald.

Noch kennen sich die meisten Teilnehmenden nicht, doch ihre Vergangenheit verbindet sie: Alle sind erst vor wenigen Jahren nach Deutschland gekommen, viele von ihnen als Geflüchtete. Die Jugendmigrationsdienste unterstützen junge Menschen nach der Ankunft in Deutschland. So war es auch bei Shaza. Die 24-Jährige ist vor zwei Jahren aus dem Irak geflohen. Heute wohnt sie mit ihrer Familie in Wesseling bei Köln. „Nur meine Großmutter lebt noch im Irak“, sagt sie. „Ich würde mich freuen, wenn sie auch nach Deutschland kommen könnte. Aber das geht nicht so einfach.“ Mit Hilfe des JMD hat Shaza ihren ersten Deutschkurs gefunden. Im Moment ist sie sehr aufgeregt, denn es sind nur noch ein paar Wochen bis zu ihrer Prüfung im Sprachniveau B2.


Der 24-jährigen Shaza gefällt das Umland von Bad Honnef sehr gut.

„Wandern in Deutschland ist so schön“
Von der Wanderung erfahren hat Shaza durch Kirsten Raaf. Die pädagogische Mitarbeiterin des JMD im Rhein-Erft-Kreis (Katholische Jugendagentur Köln) organisiert seit zwei Jahren gemeinsam mit Nina Braun vom JMD Euskirchen (KJA Bonn) das jährlich stattfindende Wandern. Auf die Idee kam sie eher zufällig: Rund 60 Menschen hatten sich damals für eine Besichtigung der NS-Ordensburg Vogelsang in der Eifel angemeldet – zu viele für eine einzelne Besichtigungsgruppe. Alternativ bot Raaf daher spontan eine Wanderung im Nationalpark Eifel an – und stieß auf großes Interesse: „Am Ende war die größte Gruppe das Wandern“, erzählt sie. Die Lust darauf, die Natur in Deutschland kennenzulernen, scheint groß. Das bestätigt Eşe, die mit ihrem Mann und den Söhnen mitwandert. Sie kamen vor zwei Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Eşe ist ausgebildete Hebamme und lernt aktuell für die Deutschprüfung B2. „Ich höre immer: Wandern in Deutschland, Wandern in Deutschland ist so schön“, sagt sie.


Hündin Lynn läuft voraus, im Hintergrund ist Kirsten Raaf im Gespräch mit zwei jungen Männern zu sehen.

Im gesamten Kreis Euskirchen und im gesamten Rhein-Erft-Kreis beraten die Mitarbeitenden der beiden JMD junge Menschen mit Migrationshintergrund im Alter von 12 bis 27 Jahren. Beim Wandern lernen neu Zugewanderte nicht nur die Umgebung ihres neuen Wohnorts besser kennen, sondern kommen auch miteinander in Kontakt. „Der Ausflug im vergangenen Jahr ging von Remagen aus zum Rolandsbogen“, berichtet Kirsten Raaf. „Da war das Wetter aber schön sonnig.“ Dieses Mal wandert auch Ute Fabian mit, die seit Mai 2020 für den JMD Frechen arbeitet. „Wegen der Corona-Pandemie konnte ich bis jetzt leider noch keine Aktionen begleiten“, erzählt sie. Aufgrund der Pandemie mussten die JMD in den Monaten zuvor weitgehend auf telefonische und Online-Beratung umstellen und Gruppenaktivitäten größtenteils absagen. Tierische Unterstützung erhalten die Betreuerinnen von Lynn, der Hündin von Kirsten Raaf. Sie rennt fröhlich an den Wandernden vorbei, während sich der Weg über Waldboden und kleine Holzstege den Berg hochschlängelt.


Für Ahmad (26) ist es schon die zweite Wanderung mit den JMD.

„Wenn ich Hilfe brauche, frage ich Frau Raaf“
Ahmad war vor drei Jahren schon einmal mit dem JMD in der Eifel wandern. Der 26-Jährige ist 2015 vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen. Seine Familie lebt nach wie vor in Rakka, nahe der syrischen Hauptstadt Aleppo. Ahmad kann sie nicht täglich erreichen, das Internet in Rakka sei instabil. „Ich versuche mit Leuten aus der Gegend in Kontakt zu bleiben, um sicherzugehen, dass es meiner Familie gut geht“, erzählt er. Der JMD im Rhein-Erft-Kreis hat Ahmad bei seiner Ankunft in Deutschland unterstützt, ihm den ersten Deutschkurs vermittelt. Über die Jahre sei die Beziehung zum JMD immer stärker geworden, sagt Ahmad. „Wenn ich Hilfe brauche, frage ich Frau Raaf.“ Mittlerweile macht er eine Ausbildung zum Krankenpfleger und ist mit seiner Arbeit im Krankenhaus sehr zufrieden.


JMD-Mitarbeiterin Nina Braun im Gespräch mit einem jungen Teilnehmer, der sich einen Ast als Wanderstock gesucht hat.

„Vor vier Jahren war ich wandern in Eritrea“
Auf dem letzten Stück hoch zur Löwenburg müssen die Teilnehmenden einen steilen Pfad zwischen Bäumen erklimmen. Der Waldboden ist regennass und rutschig. Trotzdem schaffen es alle zügig hinauf, mit vereinten Kräften, Warnungen vor besonders rutschigen Stellen und Händen, die gereicht werden. Als sie die Löwenburg erreichen, hat es aufgehört zu regnen. Einen Ausblick auf das Siebengebirge gibt es leider nicht, aber die Burgruine im Nebel ist auch ein beeindruckender Anblick.


Angekommen auf der Burgruine im dichten Nebel.

„Vor vier Jahren war ich noch wandern in Eritrea“, erzählt Daniel. Der 24-Jährige interessiert sich für die Geschichte der Löwenburg. Auch in seiner Heimat hätten ihn historische Gebäude begeistert, erzählt er. Daniel kam allein nach Deutschland. Er wohnt in Erftstadt und lernt für den Schulabschluss. Seine Familie kann er nur selten am Telefon sprechen, weil sie in Eritrea kein Internet haben. Fotos hat er schon einmal per Post geschickt.

Auf dem Rückweg geht es in Grüppchen den Berg hinab. Der Regen ist wieder stärker geworden. Gegen die Kälte helfen nur Bewegung und Geschichten. Die Gespräche verdichten sich wie der Nebel, der von der Löwenburg hinabsteigt. Ein junger Mann erzählt, dass es in seiner Heimat Guinea am Morgen häufig dichten Nebel gegeben habe. Zurück in Bad Honnef sind alle froh, in einen trockenen Zug steigen zu können. Was bleibt, ist die Erinnerung an den herbstlichen Wald, die Burgruine im Nebel – und eine gemeinsam verbrachte, intensive Zeit.


Auf dem Rückweg durch den nebligen Wald.

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Text und Bilder: Servicebüro Jugendmigrationsdienste