Bild mit vier weiblichen Jugendlichen

Klein aber fein: Jugendsozialarbeit in Münsingen

 

Klein aber fein: Jugendsozialarbeit in Münsingen

Der eher ländlich gelegene Jugendmigrationsdienst (JMD) in Münsingen gehört zum Kreis Reutlingen, hat aber seine eigenen Bedürfnisse und Anforderungen. Im Unterschied zu anderen kleinen Städten, die von größeren JMDs eher „ambulant“ mitbetreut werden, kann Münsingen, was die Jugendmigrationsarbeit und die Jugendsozialarbeit betrifft, auf ein gewachsenes und weit verzweigtes Netzwerk vor Ort zugreifen. Dieses Netzwerk wird rege genutzt, denn Ratsuchende gibt es in dem kleinen Ort auf der schwäbischen Alb reichlich. Münsingen gehört zu den Aussiedlerschwerpunkten in Baden-Württemberg. Jede/r vierte Einwohner/in der kleinen Stadt ist in der ehemaligen Sowjetunion geboren. Der Bedarf an Unterstützungsangeboten ist entsprechend groß.
Wo Angebote ineinander greifen 
Bevor die Jugendsozialarbeit in Münsingen ausgebaut wurde, gab es dort lediglich eine halbe Stelle im Jugendmigrationsdienst. Bald stellte sich heraus, dass der Bedarf weit größer und vor allem vielfältiger war als das Angebot. Schulen mit einem großen Anteil an neu zugezogenen Jugendlichen baten um Unterstützung, zusätzlich bot sich eine Zusammenarbeit mit dem stark von Spätaussiedler/innen besuchten Jugendhaus an. Man tat sich zusammen. Heute werden in Münsingen die JMD-Stelle, das Jugendhaus, die Schulsozialarbeit und die mobile Jugendarbeit unter einem Dach verwaltet und betreut. Die Angebote ergänzen sich, werden aber getrennt finanziert. Die Vorteile der engen Vernetzung liegen auf der Hand: Jugendliche mit (und ohne) Migrationshintergrund werden nicht erst ab 12 Jahren betreut, sondern erfahren schon dann Unterstützung, wenn sie in die Schule kommen. „Wir lernen die Jugendlichen viel früher kennen und können sie länger und besser begleiten“, erklärt Sven Graul, der sowohl das JMD-Büro in der Stadtmitte leitet, als auch in der Schulsozialarbeit und in der Mobilen Sozialarbeit tätig ist.
Gerade in der Schule und im mobilen Einsatz kommen die Sozialarbeiter/innen auch an die Jugendlichen heran, die den Weg zum JMD noch nicht gefunden haben. Nach dem ersten Kontakt greifen sie aber gerne auf die JMD-Angebote zu. „Die Fragen und Probleme sind vielfältig“, führt Sven Graul aus, „vom Liebeskummer bis hin zu finanziellen Problemen, Drogensucht, Straffälligkeit und Arbeitssuche. Manchmal geht es auch nur um das Schreiben des Kreiswehrersatzamtes, das nicht verstanden wird.“ Für all diese Fragen finden die Jugendlichen in Münsingen Rat bei ein und derselben Person. „Wir wollen hier zeigen, dass ein integrativer Ansatz der Jugendsozialarbeit nachhaltig erfolgreich sein kann“, erklärt Andreas Foitzik, Dienststellenleiter in Reutlingen. 
 
Auf die Mischung kommt es an
 Die Verzweigung der Angebote und die Tatsache, dass die Fäden der Jugendsozialarbeit an einer Stelle zusammenlaufen, haben verschiedene Vorteile. Zum einen bleiben die Ansprechpersonen für die Jugendlichen vom Grundschulalter bis zum Bewerbertraining weitgehend die gleichen. So kann über Jahre ein Vertrauensverhältnis entstehen, das die zielgerichtete Beratung bis hinein ins Berufsleben enorm vereinfacht. Zum anderen richtet sich das Angebot von Sven Graul und seinen Kolleginnen nicht nur an junge Migrantinnen und Migranten, sondern über die Schulsozialarbeit und das Jugendhaus auch an einheimische Jugendliche. Bei gemeinsamen Kursen und Ausflügen lernen sich die Jugendlichen gegenseitig kennen und schätzen. „Wenn ein junger Russlanddeutscher und ein junger Deutscher mit Vorurteilen gegenüber Fremden sich beim Klettern gegenseitig sichern, sorgt das für Aha-Erlebnisse auf beiden Seiten“, erzählt Sven Graul. Dabei geht es bei diesen gemeinsamen Aktionen nicht darum, dass am Ende alle gute Freunde sind. „Wenn die für einen Tag Spaß haben und dabei ganz nebenbei merken, dass sich Vorurteile nicht bestätigen, ist das in Ordnung. Die fangen keine Schlägerei mehr an, einfach weil sie sich kennen.“
Kräftemessen und Ausbalancieren im Jugendhaus 
Zu einem Zentrum in der Freizeitgestaltung der Münsinger Jugendlichen hat sich das Jugendhaus am Stadtrand entwickelt. Hier kommen einheimische und zugezogene Jugendliche zusammen zum Quatschen, Beraten, Tanzen und zum Kräftemessen. Zwei mal pro Woche trifft sich im Jugendhaus die Kickbox-Gruppe, drei mal die Breakdance-Gruppe. Beim Kickboxen lernen vor allem russlanddeutsche Jungs, ihre Kräfte kontrolliert zu gebrauchen, und das mit Erfolg. Zum einen stärken Training und auswärtige Wettkämpfe das Selbstbewusstsein der Jugendlichen und zum anderen scheint das Bedürfnis an Schlägereien außerhalb des Rings gleich null zu sein. Von den Kickboxern ist in den letzten Jahren kein einziger auffällig geworden. Grund dafür dürfte der vielfach qualifizierte Trainer der Gruppe sein. Alexej Jaschenko war in Kasachstan Vizemeister im Kickboxen, in Deutschland studiert er Sozialpädagogik.
Gelerntes weitergeben: Michael Kolzow
 Wer lieber tanzt als kämpft, verbringt seine Nachmittage mit Breakdancer Michael Kolzow. Drei mal pro Woche trainiert der 24-jährige Verfahrensmechaniker aus Russland seine Gruppe aus Spätaussiedlern und Deutschen, Jungs und Mädchen. „Eigentlich ist das zu wenig“, meint der ehrgeizige Tanzlehrer, der vor sechs Jahren nach Deutschland kam, im Jugendhaus Freunde fand und Breakdance lernte. „Am liebsten würde ich täglich trainieren.“

JMD Münsingen 
Die beiden Jugendmigrationsdienste in Reutlingen und Nürtingen der BruderhausDiakonie kümmern sich um jugendliche Migrantinnen und Migranten im Landkreis Reutlingen mit weiteren Anlaufstellen in Münsingen, Bad Urach, Metzingen und in der Region Nürtingen/ Kirchheim unter Teck im Landkreis Esslingen. Das gesamte Team umfasst 37 fest angestellte und zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiter/innen sowie 35 Honorarkräfte. Mehr unter www.jmd-reutlingen.de