Bild mit vier weiblichen Jugendlichen

Individuell und umfangreich in Neukölln

Individuell und umfangreich in Neukölln

Der Jugendmigrationsdienst Berlin Neukölln setzt auf individuelle Begleitung - für jede und jeden, der sie braucht.

Wenn ihr vor sieben Jahren jemand erzählt hätte, sie würde einmal studieren, hätte Gülistan das keinesfalls geglaubt. Damals kam die 15-jährige Kurdin mit ihren Eltern und Geschwistern nach Deutschland, geflohen vor Angriffen und Repressalien, der die Familie auf beiden Seiten des türkisch-iranischen Grenzgebietes immer wieder ausgesetzt war. Nach der Anerkennung als Flüchtling in einem fremden Land musste sie sich erst einmal mit der neuen Sprache auseinandersetzen, erinnert sich die heute 22-jährige, irgendwie in der Schule mithalten. So sahen Gülistans Lehrer in der Förderklasse auch eigentlich keine größeren Chancen, dass sie die Schule je mit einem qualifizierten Abschluss verlassen würde.

 

Engmaschige Hilfe

 

"Mit einer solch traurigen Prognose und ziemlich niedergeschlagen stranden regelmäßig junge Migranten bei uns", berichtet Sukriye Dogan vom Jugendmigrationsdienst (JMD) in Berlin Neukölln. Der Arbeitsschwerpunkt des JMD liegt auf der Beratung und - so betont Dogan - vor allem der Begleitung jungen Migranten. "Konkret heißt das zum Beispiel, wenn jemand neu nach Deutschland kommt und Hilfe bei den Formalitäten braucht, dann gehen wir mit demjenigen zu den Ämtern, helfen beim Ausfüllen der Formulare - und zwar derer aller Behören. Vom Jobcenter, Ausländeramt, Jugendamt und co. Dann suchen wir mit den Klienten bei mangelnden Sprachkenntnissen einen passenden Integrations- und Sprachkurs aus und helfen auch bei der Anmeldung", berichtet Dogan über die vielfältigen Aufgaben des JMD. Eine ebenso engmaschige Hilfe bietet der JMD an, wenn es um Probleme mit der schulischen Laufbahn oder der Suche nach Ausbildungsplätzen geht. Dabei kommt eine Vielzahl junger Migrantinnen und Migranten gerade mit Problemen in der Schule zu ihr ins Büro, erzählt Dogan. So wie Gülistan.

 

Positive Prognose

"Ich wollte den Schulabschluss einfach schaffen", sagt sie. Nur so hätte sie die Chance, sich später einmal auch beruflich für andere Menschen einsetzen zu können. Für Menschen, die wie sie im Leben schlimme Erfahrungen machen mussten. Mit ihrem Wunsch wandte sich Gülistan schließlich an den Jugendmigrationsdienst, von dem sie über Freunde gehört hatte. "Die haben mir wirklich sehr geholfen", sagt die junge Kurdin dankbar rückblickend. Mit ihrem persönlichen Ziel stets im Blick und nach einem Fachbericht des JMD "mit einer positiven Prognose" zog auch die Schule mit. Die mittlere Reife schaffte sie, daraufhin ging es für Gülistan weiter an der Gesamtschule. Sie bestand schließlich auch das Fachabitur im Bereich Sozialwesen - und heute studiert sie Soziale Arbeit. Bis hierher hat der JMD die junge Migrantin stets auf ihrem Weg begleitet, vermittelte erst Nachhilfelehrer später Fachpraktika, half bei der Auswahl der passenden Schule. 

"Es zeigt sich einfach immer wieder, was die kontinuierliche Begleitung der Jugendlichen bewirken kann", sagt Sukriye Dogan dann auch nicht ohne Stolz. "Gerade wenn es darum geht, in Sachen Schule und Ausbildung die richtigen Wege zu gehen, zu ermutigen, zu probieren sind wir gerne flexibel und nehmen uns die Zeit, um die Chancen des Bewerbers mit verbessern zu helfen. Aber auch, um seine positive Motivation, sein Engagement zu unterstützen."

Die JMD-Mitarbeiterin weiß nicht nur aus den Erfahrungen aus ihrer Arbeit anschaulich zu berichten. Sie selbst kam als "Kind der Gastarbeiter", wie sie sagt, nach Deutschland. "Für viele Familien war es schwer, hier Fuß zu fassen. Über ein Angebot wie die Jugendmigrationsdienste hätten sich viele gefreut, viele hätten ein solches Angebot auch dringend gebraucht." Doch in den sechziger und siebziger Jahren war der Aufenthalt in Deutschland ja nur auf Zeit gewünscht, für entsprechende Angebote gab es also keinen Grund.

Und so findet die JMD-Mitarbeiterin auch, dass sich die Angebotssituation für Migranten in den letzten Jahren in Deutschland stark verbessert, der heutigen Aufenthaltssituation angepasst hat. "Ich komme aus einer Kleinstadt in Niedersachsen, da gab es keine Beratungsstelle. Wir mussten dann in die Landeshauptstadt Hannover fahren, wenn wir Hilfe brauchten", erzählt Dogan. "Ich sage den jungen Leuten immer, ihr habt so viele Möglichkeiten heute. Deutschland ist einmal mehr akribisch genau und bemüht sich dementsprechend auch gut und umfangreich um das Thema Integration."

 

Gut vernetzt und kurze Wege

Besonders schätzt sie jedoch das Angebot in "ihrem" Stadtteil, in Berlin Neukölln. "Die Möglichkeit, jederzeit so viele unterschiedliche Beratungsstellen in Anspruch nehmen zu können, ist optimal", erklärt Dogan. So unterhält der Jugendmigrationsdienst ein Büro in einem Jugendberatungshaus, in welchem auf kurzem Wege Klienten auch an andere Angebote vermittelt werden können. Der JMD sitzt Tür an Tür mit Institutionen, die bei Schuldenproblemen helfen, die Schulverweigerern Alternativen aufzeigen, die PC-Arbeitsplätze für die Arbeits- und Ausbildungsplatzsuche zur Verfügung stellen - alles unter einem Dach. "Wir Kollegen können uns so einfach und unkompliziert austauschen, Termine machen und den jungen Migranten direkt helfen. Die Überwindung für einen Jugendlichen, sich noch einmal woanders hin wenden zu müssen, entfällt zudem. Hier geht er einfach eine Tür weiter."
 
Der Jugendmigrationsdienst in Berlin Neukölln wird von zwei Institutionen unterhalten, dem Diakonischen Werk Neukölln Oberspree e.V. (DW), für den auch Sukriye Dogan arbeitet, und dem Internationalen Bund (IB). Getragen wird das Programm Jugendmigrationsdienste vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen der Initiative „Jugend Stärken“. Beide Institutionen, DW und IB, teilen sich tageweise ein gemeinsames Büro. Die Mitarbeitenden haben entweder selbst einen Migrationshintergrund oder sprechen zumindest noch weitere Sprachen. Über das Jugendberatungshaus hinaus gibt es vom Diakonischen Werk allein noch zwei weitere Büros im Viertel, kooperiert wird aber mit einem ganzen Netzwerk an Organisationen. So gibt es zum Beispiel aktuell eine Kooperation mit einem Theaterpädagogen, der zum Thema Gewaltprävention Rollenspiele anbietet.

 

Qualität statt Quantität

Gülistan startet nun im Herbst bereits in ihr zweites Semester. Sukriye Dogan freut sich darüber, abschließend fasst sie die Motivation ihrer Arbeit noch einmal zusammen: "Uns geht es um Qualität in der Hilfe, weniger um Quantität. Es geht darum mit Menschen zu arbeiten, die diese Hilfe brauchen und auch wollen!"