Bild mit vier weiblichen Jugendlichen

Mit Mut und Willen in ein besseres Leben

Selam Kebrom floh mit 12 Jahren allein aus einem Leben voller Gewalt in Eritrea. Joudi Alhasan wurde von ihrer Familie vor dem Kriegsgeschehen in Syrien in Sicherheit gebracht. Mittlerweile sind die beiden jungen Frauen gut in ihrer neuen Heimat Lübeck angekommen. Begleitet wurden sie dabei durch Serap Berrakkarasu vom Jugendmigrationsdienst in Lübeck. Sie leistete Zuspruch, Unterstützung und machte sie stark für ihr neues Leben. 
 

Gruppenfoto von JMD-Beraterin mit zwei jungen Frauen aus der JMD-Beratung
Krieg, Vertreibung, Gewalt oder Armut – viele Menschen müssen ihr Zuhause verlassen, um eine neue Chance zu bekommen. Der erste Schritt in ein neues Leben ist dabei oft der schwerste. So war es auch bei Selam Kebrom (rechts) und Joudi Alhasan (links). Doch mit Hilfe von Serap Berrakkarasu (Mitte) vom JMD Lübeck gelang ihnen das.

Selam Kebrom: Frei sein um jeden Preis 

Selam lebte mit ihrer Mutter, ihrer kleinen Schwester und einem älteren Bruder in einem kleinen Dorf in Eritrea. Mit etwa neun Jahren dachte sie zum ersten Mal daran, wegzulaufen – fort von Härte und den Schlägen, die sie regelmäßig erleiden musste. „Ich wollte einfach frei sein“, sagt sie. Ihre ersten Fluchtversuche scheiterten. Jedes Mal wurde sie aufgegriffen und zurückgebracht. Doch sie gab nicht auf und wagte einen weiteren Versuch – diesmal erfolgreich. Wie alt sie genau war, weiß sie nicht. „Wir feiern nicht jedes Jahr Geburtstag. Ich glaube, ich war ungefähr 12 Jahre alt“, erinnert sie sich.

Über Äthiopien und den Sudan gelangte sie Monate später nach Libyen. Immer wieder hatte sie Glück: Menschen nahmen das Mädchen, das ganz allein unterwegs war, unter ihre Fittiche. Schließlich überquerte sie das Mittelmeer nach Italien. Ein Onkel unterstützte ihren Wunsch nach Freiheit und bezahlte die Flucht. „Er wollte, dass ich zur Schule gehen kann, studiere und gute Möglichkeiten habe. Das wollte ich ihm erfüllen“, sagt Selam Kebrom.

Ende 2013 kam sie in Deutschland an. Die ersten zwei Jahre verbrachte sie in Nürnberg und besuchte dort die achte Klasse. Dann kam die Wende: Die Behörden hielten die damals rund 15-Jährige für jünger. „Sie meinten, ich wäre wohl erst 12 Jahre alt. Das war sehr schwer für mich.“ Die Aussicht, noch sechs Jahre warten zu müssen, bis sie einen Pass beantragen und ihre Mutter wiedersehen könnte, trieb sie schließlich erneut zum Aufbruch. Sie gelangte nach Flensburg, und nach langem Hin und Her wurde das Alter der inzwischen 18-Jährigen von den Behörden anerkannt. In Lübeck, wo sie schließlich eine Unterkunft fand, stürzte sie jedoch in ein tiefes Loch. Rund drei Jahre dauerte es, bis sie das Trauma ihrer Flucht verarbeitet hatte. „Ich habe einen Deutschkurs gemacht, weil das Jobcenter dies forderte. Doch mehr ging nicht. Ich habe erst einmal alles beiseitegeschoben“, erzählt sie.


Selam Kebrom (24) arbeitet seit zwei Jahren als Pflegehelferin.

Neue Hoffnung in Lübeck

Durch eine Freundin kam Selam Kebrom schließlich in Kontakt mit dem Jugendmigrationsdienst Lübeck – und mit Serap Berrakkarasu. Die studierte Sozialwissenschaftlerin arbeitet seit 2015 in der Migrationsberatung und ist seit 2018 beim JMD für die Beratung und Begleitung junger Frauen zuständig. Im Jahr 2025 suchten bereits 144 Frauen Unterstützung bei ihr (Stand Herbst).

Serap half Selam bei der Suche nach einem Praktikumsplatz, bei Bewerbungen und bei Terminen mit der Ausländerbehörde. Mittlerweile hat   die heute fast 25-Jährige ihren Schulabschluss gemacht, eine Ausbildung zur Pflegehelferin absolviert und zwei Jahre in einem Pflegeheim gearbeitet. Sie hat den Führerschein erworben, ist verheiratet und schwanger mit ihrem ersten Kind. „Serap hat mich immer wieder aufgebaut, mir Mut und Hoffnung gegeben, wenn es mir schlecht ging. Sie hat mir klargemacht, was alles hinter mir liegt und was ich bereits geschafft habe. Das hat mich wirklich motiviert und mir auf meinem Weg geholfen“, sagt Selam Kebrom dankbar.

Joudi Alhasan: Mit den Schulbüchern auf der Flucht

Dieses Gefühl teilt Selam mit Joudi Alhasan. Sie lebte mit ihrer Familie im syrischen Damaskus. Als der Krieg ausbrach, war Joudi noch ein Kind. Als sich die Situation immer weiter zuspitzte, brachte ihr Großvater sie zu einer Tante in die Türkei. „Ich habe meine Schulbücher mitgenommen und dachte, zu meiner Prüfung wäre ich wieder zuhause“, erinnert sie sich. Doch sechs Monate später schlossen sich die Grenzen zwischen den beiden Ländern. „Es hieß, wenn ich zurückgehe, komme ich nicht wieder aus Syrien heraus.“

Ihre Tante versuchte, in der Türkei eine Schule für Joudi zu finden. Doch das war unmöglich. „Alle Schulen wollten eine unterschriebene Einverständniserklärung meiner Eltern haben. Doch die zu bekommen war aufgrund des Kriegs nicht möglich.“ Zwei Jahre lang lebte sie dort, ohne zur Schule gehen oder sich weiterbilden zu können. Schließlich beschloss die Familie, sie zu Verwandten nach Deutschland zu schicken. Gemeinsam mit ihrem Vater, der inzwischen auch in der Türkei war, machte Joudi sich auf den Weg.

Am griechischen Grenzzaun jedoch wurde ihr Vater aufgehalten. Schweren Herzens schickte er seine Tochter allein auf den gefährlichen Weg über den Balkan nach Deutschland. Das Ziel: Lübeck, wo zwei ihrer Onkel lebten. Zwei Monate war sie unterwegs. „Wenn mich heute jemand fragt, ob ich den Weg noch einmal gehen würde, sage ich Nein. Aber damals wusste ich nicht, was auf mich zukommt. Man denkt nicht so viel“, erzählt sie.


Joudi Alhasan (25) hat gerade ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen.

Ein neuer Anfang – und ein harter Rückschlag


In Lübeck angekommen, kam die damals 16-Jährige in einer Jugendwohngruppe unter. Dort fühlte sie sich gut aufgehoben, lernte schnell Deutsch, besuchte die Schule und machte ihren Hauptschulabschluss. Mit 18 hörte sie erstmals vom JMD:  „Mir wurde gesagt: Da ist Serap. Egal, was du brauchst, du kannst sie kontaktieren. Sie hilft dir. Das fiel mir am Anfang schwer, denn eigentlich bin ich ein sehr verschlossener Mensch und nehme nicht gerne Hilfe an“, sagt Joudi. Serap Berrakkarasu erinnert sich: „Mir wurde gesagt, Joudi ist sehr selbstständig, sie kriegt ihre Sachen gut allein hin.“

Nach dem ersten Kontakt dauerte es dann ein halbes Jahr, bis Joudi plötzlich im Büro des JMD stand – blass, dünn und mit einer Tasche voller ungeöffneter Briefe. Zu Beginn der Coronazeit erkrankte die bis dahin gesunde junge Frau plötzlich schwer an Lupus, einer Autoimmunkrankheit. Operationen und lange Krankenhausaufenthalte folgten, bis die richtige Medikation gefunden wurde. Heute geht es Joudi wieder gut. In dieser schwierigen Zeit konnte sie sich stets auf den JMD verlassen. „Als ich nach meinem Krankenhausaufenthalt wieder in meiner Wohnung ankam, war mein Briefkasten voller Post. Ich war völlig überfordert. Serap hat mir geholfen, das alles zu beantworten.“ Auch bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz stand der JMD ihr zur Seite. „Ich wollte eigenes Geld verdienen. Wir haben nach Ausbildungen gesucht, Serap hat mir eine Liste aller Praxen in Lübeck ausgedruckt und mir bei den Bewerbungen geholfen“, erzählt sie. Schließlich fand sie eine Lehrstelle in einer Zahnarztpraxis. Dort hat sie gerade ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und arbeitet nun in Vollzeit. „Sie haben mich übernommen, noch bevor ich meine Prüfung gemacht habe“, sagt sie stolz.

Auch beim Lernen für ihre Abschlussprüfungen konnte sich Joudi auf Seraps Hilfe verlassen. „Ich habe sie abgefragt und gleich was gelernt. Jetzt weiß ich, wie Ärzte mit der Krankenkasse abrechnen“, sagt Serap Berrakkarasu lachend. Sie ist stolz auf die Erfolge ihrer Schützlinge. „Ich empfinde eine große Bewunderung und Stolz auf die jungen Frauen. Nicht, weil ich ihnen geholfen habe, sondern wegen dem, was sie selbst gemacht haben. Sie gehen oft über ihre Grenzen, weil sie denken, sie sind immer zu wenig. Die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen ist der Teil meiner Arbeit, der mir viel Kraft und Hoffnung gibt.“


Gemeinsam haben die Frauen viele Hürden in vertrauensvoller Atmosphäre gemeistert.

Mehr über den Jugendmigrationsdienst Lübeck

Der JMD Lübeck ist in der Trägerschaft der Gemeindediakonie Lübeck gGmbH. Drei Mitarbeitende helfen rund 500 Migrant*innen jährlich, unterstützt von Ehrenamtlichen und Honorarkräften als ergänzende schulische und sprachliche Hilfen sowie Sprachpartner*innen. Finanziert vom Bundesjugendministerium sowie aus Eigenmitteln, berät und begleitet der JMD Lübeck Migrant*innen im Alter von 12 bis 27 Jahren als Anlaufstelle und Fachdienst. 

Text und Bilder: Servicebüro Jugendmigrationsdienste