Bild mit vier weiblichen Jugendlichen

Mit Talent und Engagement zur eigenen Buchveröffentlichung: Ein junger Syrer geht seinen Weg

„Bist du dir sicher, Samer?“ – „Ich versuche es einfach.“ Diese Worte sind schon in vielen Gesprächen zwischen dem Syrer Samer Al Najjar und Cosima Klocke vom Jugendmigrationsdienst (JMD) Velbert gefallen. Denn der Weg des jungen Mannes aus Homs ist alles andere als gewöhnlich. In Deutschland hat ihn die JMD-Mitarbeiterin begleitet und dabei unterstützt, so viele Hürden wie möglich aus dem Weg zu räumen. Angefangen hatte alles mit einem Anruf der Vereinten Nationen.

Zusammen mit Cosima Klocke vom JMD Velbert überwand Samer Al Najjar viele Hürden.

Samer Al Najjar lebte damals mit seinen vier jüngeren Geschwistern und seinen Eltern als Geflüchteter im Libanon. Sein Vater arbeitete als Tischler, Samer half ihm. An Schule war nicht zu denken. Nach der Arbeit nahm der damals 18-Jährige oft den Bus und fuhr zu kostenlosen Englischkursen, die die Vereinten Nationen vor Ort organisierten. Eines Tages boten die Vereinten Nationen der Familie an, als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland auszureisen. Sie würden ein Visum und eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, ohne ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Samer Al Najjar überzeugte seine Eltern, das Angebot anzunehmen.

So kam die Familie im Sommer 2014 nach Velbert. Der junge Syrer wollte am liebsten direkt mit einem Sprachkurs anfangen. Er wurde an einen Jugendintegrationskurs beim Internationalen Bund (IB) in Velbert verwiesen. Bei der Anmeldung zum Kurs unterstützte ihn Cosima Klocke vom Jugendmigrationsdienst des IB. „Samer war von Anfang an unheimlich engagiert“, erinnert sie sich. „Schon nach drei Monaten Deutschunterricht hat er nur noch auf Deutsch kommuniziert.“

In der Heimatstadt Homs hatte Samer Al Najjars Familie zur Mittelschicht gehört. Er führte ein angenehmes Leben, ging zur Schule. Das änderte sich, als die Unruhen begannen. Der damals 17-Jährige demonstrierte gegen das Regime und musste miterleben, wie die zunächst friedlichen Demonstrationen in Gewalt umschlugen. Als der Krieg ausbrach, floh er mit seiner Familie zunächst nach Damaskus, dann in den Libanon.

Rückkehr zum Schreiben

Samer Al Najjar hat schon immer gern geschrieben, Tagebuch geführt. Mit 13 verfasste er seine erste Kurzgeschichte. Doch dann wurden die Freunde wichtiger, Stift und Papier blieben immer öfter in der Schublade. „Zum Schreiben zurückgefunden habe ich dann erst wieder im Libanon“, erinnert sich der heute 27-Jährige. Als sein Deutsch besser wurde, übersetzte er eine seiner Kurzgeschichten. Seine Deutschlehrerin half ihm beim Lektorieren. „Und am Ende hatte ich eine Kurzgeschichte auf Deutsch“, erinnert er sich und lächelt. „Das hat mich angespornt. Ich habe auch meine anderen Kurzgeschichten übersetzt und schließlich angefangen, auf Deutsch zu schreiben.“

Kein einfaches Unterfangen: Viele Bilder und Sprichwörter, die es im Arabischen gibt, sind wörtlich übersetzt auf Deutsch unverständlich. „Ich versuche immer, den Geist des Textes zu erhalten und mich nicht an Worte zu klammern“, erklärt der junge Schriftsteller. Bei einem Verein fing er an, selbst Deutsch für Geflüchtete zu unterrichten. So lernte er eine Mitarbeiterin des Kreisintegrationszentrums Mettmann kennen. Er erzählte ihr, dass er Kurzgeschichten schreibe, und sie wollte sie gerne lesen. Als sie ihn anschließend fragte, was er von einem eigenen Buch halten würde, war Samer Al Najjar begeistert. „Darüber habe ich mich sehr gefreut“, erzählt er mit leuchtenden Augen.

Aus dieser Kooperation sind zwei Bände mit Kurzgeschichten entstanden, die der Kreis Mettmann publiziert hat. Mittlerweile hat der junge Autor zudem einen Roman geschrieben, der im Libanon auf Arabisch erschienen ist. Auch diesen hat er auf Deutsch übersetzt und sucht dafür einen Verlag. „Es geht darin viel um Krieg, Revolution und Fluchterfahrung“, berichtet er. „Es ist nicht einfach, für solche Themen einen deutschen Verlag zu finden.“


Neben dem Bachelorstudium arbeitet der 27-Jährige für ein Infoportal des WDR für Geflüchtete.

Vom Studienkolleg zum Studium – und zur deutschen Staatsbürgerschaft

Während der gesamten Zeit war Samer Al Najjar immer wieder beim JMD, hat übersetzt oder neue Ratsuchende mitgebracht. In Deutschland ging sein Wunsch, weiterlernen zu können, in Erfüllung. Er holte das arabische Abitur nach. Doch für ein Studium brauchte er noch den Abschluss eines Studienkollegs. „Für die Aufnahme beim Studienkolleg muss man einen Test machen, in dem unter anderem die Deutschkenntnisse nachgewiesen werden müssen – auf dem Niveau B2. Samer hatte zu dem Zeitpunkt Unterricht auf dem Niveau B1. Ich fragte ihn: Bist du dir sicher, dass du das machen möchtest? Und er antwortete: Ich versuche es“, erzählt Cosima Klocke. Er bestand den Test. Und dann wurde es hektisch: Das Jobcenter weigerte sich, das Studienkolleg zu bezahlen. Die JMD-Mitarbeiterin suchte nach Finanzierungsmöglichkeiten und wurde schließlich beim Garantiefonds Hochschule fündig, der das einjährige Kolleg mit einem Stipendium finanzierte.  

„Samer wollte dann Germanistik und Politik studieren. Ich war skeptisch, doch er versuchte es und bekam einen Platz an der Universität in Düsseldorf“, berichtet die Diplom-Sozialpädagogin. Auch das mehrstufige Auswahlverfahren für ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung bestand er. Es hat sich gelohnt: Seine Bachelorarbeit in Germanistik wurde im Herbst 2021 mit der Note 1,0 bewertet. „Darauf ist nicht nur er sehr stolz“, so Cosima Klocke.

Im Anschluss an den Bachelor möchte Samer Al Najjar seinen Master in Politik machen. Neben dem Studium arbeitet er für WDRforyou, ein viersprachiges Portal des WDR für Geflüchtete. Seit Februar 2021 hat er die deutsche Staatsbürgerschaft. Er blickt zufrieden auf das, was er bisher erreicht hat. Mit einem Lächeln sagt er: „Ich habe in meinem Leben oft Glück gehabt. Doch mein Weg ist noch nicht zu Ende.“

„Es ist wirklich schön zu sehen, wie jemand seinen Weg geht“, sagt Cosima Klocke. Ihr ist es immer wichtig, dass die jungen Menschen authentisch und ehrlich sind und nicht etwas machen, was sie eigentlich nicht wollen. „Denn dann klappt es auch nicht.“ Samer Al Najjar wusste immer, was er wollte. Wie er blickt auch die JMD-Beraterin gerne auf die gemeinsame Zeit zurück: „Es ist wichtig, dass man auch mal zusammen lachen kann, und das hat bei uns immer gut geklappt“, sagt sie und beide lachen.

Über den JMD Velbert

Der Jugendmigrationsdienst Velbert ist in der Trägerschaft des Internationalen Bundes. Seine fünf Mitarbeiterinnen sind zuständig für den gesamten Kreis Mettmann. Somit stehen sie in neun Städten als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung. Der Schwerpunkt liegt auf der Einzelfallberatung. Nach überwiegend digitalem Kontakt aufgrund der Corona-Pandemie kehren sie nun langsam in den Präsenzbetrieb zurück.
 

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Kurzgeschichtenband „Die salzige Heimat“ zum Download
 

Text und Bilder: Servicebüro Jugendmigrationsdienste